Engagement

Nicht mehr "original" - darum wertlos?

Kommentar von Martin Killias, Präsident Schweizer Heimatschutz

Alte Häuser sollen weiterhin eine Funktion erfüllen – andernfalls werden sie zerfallen. Das ist eine Binsenweisheit. Aber wie viel darf vom alten Bestand beseitigt werden, um modernen Badezimmern, Küchen, einer Zentralheizung und vielleicht einem Lift Platz zu  machen? Gross ist die Versuchung, als Heimatschützer grosszügig solche Kompromisse hinzunehmen. In unserem System mit vielen Schutzobjekten an vielen Orten kann man nicht dieselbe harte Linie fahren wie in Ländern, wo nur ganz wenige Leuchttürme geschützt
sind.

Gross kann unsere Ernüchterung dann aber sein, wenn die erneuerten Bauteile ihrerseits in die Jahre kommen und ersetzt werden  müssen. Unter den Fachleuten, die Gutachten über die Schutzwürdigkeit verfassen, argumentieren manche, dass das Gebäude, obwohl ursprünglich ein wichtiger Zeuge, heute nicht mehr «im Originalzustand» und darum ohne Denkmalwert sei. In solchen Urteilen widerspiegeln sich auch gewandelte Vorstellungen darüber, wie man mit einem alten Gebäude zu verfahren habe. Wie bei der Mode werden die Vorlieben der Vorgänger verachtet, weshalb es schwerfällt, die Qualitäten von deren Arbeit heute zu erkennen, geschweige denn anzuerkennen. Besonders schwer fällt die Verteidigung von Häusern in Altstädten, die irgendwann ab 1950 ausgekernt wurden, wie damals leider üblich. Wenn Häuser, von denen nur die Fassaden erhalten sind, aus dem Schutz entlassen werden, dann betrifft dies landesweit Tausende von Objekten. Ein Desaster!

Wie alle ideologischen Positionen hat der denkmalpflegerische Purismus seine Widersprüche. Im Fall eines selten original erhaltenen
Bauernhauses, das kaum renoviert und darum im Erbauungszustand von 1840 erhalten ist, empfahl der Experte den Abbruch, weil nach der Modernisierung der Infrastruktur das Haus nicht mehr «ursprünglich» sein werde. Nach dieser Logik wären Kathedralen, Schlösser und Paläste nicht schutzwürdig, weil immer wieder einzelne Teile repariert, erneuert oder ersetzt werden mussten. Im Ergebnis wäre kaum ein Objekt erhaltenswürdig – die einen nicht, weil sie nicht mehr im Erbauungszustand sind, die noch ursprünglichen aber ebenso wenig, weil sie sich nach den dringenden Unterhaltsarbeiten nicht mehr im «Original»-Zustand befänden. Wenn Baudenkmäler der Nachwelt erhalten bleiben sollen, muss dringend der Fetischismus mit dem «Original»-Zustand überwunden werden, wie dies auch die
Eidg. Kommission für Denkmalpflege fordert. Baudenkmäler werden auch heute oft sehr unsensibel «saniert», an vielen Orten ist das Auskernen nach wie vor Praxis, so im Waadtland, aber auch im Thurgau, wo nur noch Fassaden geschützt werden sollen. Das wollen wir als Heimatschützer nicht, aber ebenso wenig können wir befürworten, dass früher radikal sanierten Häusern heute jeder  Denkmalwert abgesprochen wird.

Martin Killias
Präsident Schweizer Heimatschutz