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Leihgasse 15a in Baar
Leihgasse 15a in Baar (Foto: Stefan Kaiser)

Bundesgericht kippt 70er-Jahre Klausel und relativiert Verschärfungen des Denkmalschutzgesetzes

Mit einiger Genugtuung hat das Referendumskomitee das aktuelle Bundesgerichtsurteil zum neuen Denkmalschutzgesetz des Kantons Zug zur Kenntnis genommen. Ein Blick auf den Inhalt und die Folgen des Urteils.

Das oberste Gericht der Schweiz bestätigt unsere Bedenken gegen das unausgegorene Gesetz, das der Kantonsrat beschlossen hatte und weist den Regierungsrat an, die umstrittene 70-Jahre Regel wieder aus dem Gesetz zu streichen. Die wesentlichen Anliegen des Referendums werden letztinstanzlich geklärt. Trotz des eindeutigen Volksentscheides hatten sich einige Privatpersonen dazu entschlossen, das neue Denkmalschutzgesetz einer abstrakten Normenkontrolle zu unterziehen, vom Bundesgericht beurteilen zu lassen und zu prüfen, ob das Gesetz nicht übergeordnetem Recht widerspricht. Indem die Verbindlichkeit der Granada Konvention für die kantonalen Gesetzgebungen festgelegt wird, stärkt das vorliegende Urteil das Anliegen Denkmalpflege eindeutig. Es gilt nun die formalen Streitigkeiten zu begraben und einen angemessenen Umgang im Vollzug zu finden. Gespannt warten wir, wie der gesetzgebende Kantonsrat auf die neuen Rahmenbedingungen reagiert.

Das Granada Abkommen

Das Granada Abkommen ist ein völkerrechtlicher Vertrag, von der Schweiz 1996 ratifiziert, in welchem sich die unterzeichnenden Staaten dazu verpflichten, dem baugeschichtlichen Erbe Sorge zu tragen und es angemessen zu schützen. Das Abkommen schützt alle Bauwerke von herausragendem geschichtlichen, archäologischen, künstlerischen, wissenschaftlichen, sozialen oder technischen Interesse mit Einschluss zugehöriger Einrichtung und Ausstattungen. Die für diesen Schutz notwendigen Massnahmen beinhalten geeignete Mittel bis hin zum Heimschlagrecht. Das Abkommen von Granada kennt keine Unterscheidung von lokalen, kommunalen und nationalen Schutzobjekten, wie dies im Gesetz von Zug vorgesehen war.

Konkrete Folgen des Bundesgerichtsurteils

Die vom Kantonsrat festgelegte 70-Jahre Regel stellt laut Bundesgericht eine klare Verletzung der Granada Konvention dar und muss ersatzlos aus dem Gesetz gestrichen werden. Denkmäler kennen kein Mindestalter. Damit ist eines der Hauptanliegen des Referendumskomitees erfüllt. Die Schweiz ist einer der wenigen Staaten in Europa, wo sich die Baukultur während und nach dem zweiten Weltkrieg ohne Unterbruch weiterentwickelt halt. Gerade die Zeit nach dem grossen Krieg ist eine eigentliche Blütezeit der modernen Architektur, welche unsere Heimat massgeblich prägt. Leo Hafner, Josef Stöckli, Hans Peter Ammann, Hanns Anton Brütsch, Fritz Stucki und viele weitere waren namhafte Vertreter dieser Entwicklung im Kanton Zug. Mit der 70-Jahre Regel wären zahlreiche dieser identitätsstiften Bauten ohne Überprüfung ihres Wertes abgerissen worden.
Die im Gesetz festgelegte nötige Kumulation zweier Denkmalwerte ist gemäss dem Entscheid nicht relevant. Ein Objekt von hohem kulturellem oder heimatkundlichem Wert weißt gemäss Urteil zwangsläufig immer auch einen hohen wissenschaftlichen Wert aufweist. In der Praxis wird diese vom Kantonsrat versuchte Verschärfung keine Wirkung haben.
Weiter wird im Urteil festgehalten, des der neu eingeführte Massstab «äusserst» für die denkmalpflegerisch relevanten Themen nicht restriktiver gehandhabt werden, als der im Abkommen verwendete Begriff herausragend. In der Vollzugspraxis dürfte darum die vermeintliche Verschärfung von «sehr» zu «äusserst» bedeutungslos werden.
Interessant wird die Auslegung zu der vom Kanton im Rahmen der Vernehmlassung zum Bundesgerichtsprozess geltend gemachten Äusserung sein, bei den angefochtenen Bestimmungen handle es sich sowohl in ihrer Gesamtheit als auch je für sich um Kernanliegen der Teilrevision, deren Aufhebung nicht in Betracht falle, ohne das Gesetz als Ganzes in Frage zu stellen. Nimmt man diese Argumentation ernst, müsste der Kantonsrat als gesetzgebende Instanz noch einmal über die Bücher und erneut eine komplette Gesetzesrevision in Angriff nehmen.
In der Zusammenfassung des Urteils liest man, dass die übrigen strittigen Voraussetzungen der Anerkennung eines Objekts als schutzwürdig bzw. der Unterschutzstellung zwar im Einklang mit der Granada-Konvention auszulegen sind. Sie würden dadurch aber nicht inhaltslos und behalten ihre Gültigkeit. Die verfolgte Wirkung wird lediglich abgeschwächt, entfällt aber nicht. Eine Antwort, wie dies im Einzelfall konkret gehandhabt wird, ist nun durch einen angemessenen Vollzug zu geben.
Die vom Referendumskomitee nie bestritte Möglichkeit des einvernehmlichen Unterschutzstellungsvertrags und die festgelegte Erhöhung der Kostenbeteiligung an die denkmalrelevanten Bauarbeiten bleiben damit die einzigen massgeblichen Änderungen im neuen Denkmalschutzgesetz. Als Wermutstropfen bleibt auch die Abschaffung der Denkmalkommission, die mit der Beteiligung des Hauseigentümervereins, des Bauernverbandes, der Fachverbände und der Gemeindevertreter eine gesunde gesellschaftliche Verortung in der Gewichtung der verschiedenen Anliegen bewirken konnte.
Das nun vorliegende Urteil des Bundesgerichts klärt die strittigen Fragen bei der Festlegung einer allfälligen Unterschutzstellung und stellt das Gleichgewicht zwischen dem gerechtfertigten privaten und dem verbindlichen öffentlichen Interesse wieder her. In diesem Sinne ist das Referendumskomitee mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Es bleibt zu wünschen, dass künftig wieder mehr inhaltlich diskutiert wird und alle Beteiligten zusammen und nicht gegeneinander an der Erneuerung und Weiterentwicklung unseres kulturellen Erbes arbeiten werden.

Urteil des Bundesgerichts

Urteil vom 1. April 2021

Granada-Abkommen

Übereinkommen zum Schutz des baugeschichtlichen Erbes in Europa  
In Kraft getreten für die Schweiz am 1. Juli 1996

Bericht

Zentralplus berichtet über den Entscheid des Bundesgerichts
Artikel vom 2. Mai 2021

Bericht

Die Zuger (Luzerner?) Zeitung berichtet über den Entscheid des Bundesgerichts
Artikel vom 2. Mai 2021